Black Mama, das Märchen unserer Zeit
4. Folge

Jörg Feierabend


Rocky geht inzwischen der schwachen Lichtquelle auf den Grund, die bei Fredericos um sich Schlagen entstanden ist.

Sie rührt von einem siebzehnzölligen Monitor her.

"Was ist das?" fragt Rocky, mit dem Zeigefinger auf das Gerät weisend.

"Es klingt unglaublich", versucht Frederico, die Frage zu beantworten.

Seine Hände gleiten über eine ihm monströs erscheinende Tastatur.

"Ich würde sagen, das ist ein ... ein antikes Handy."

Beide glucksen herzlich. "Mann, sieh' sich einer das Display an. Und die Tastatur erst!" Frederico amüsiert sich königlich.

"Ein Riesen-Handy!"

Rocky lacht gepflegt.

Stripper kommt gerade hinzu, als Rocky und Frederico, inzwischen gelangweilt von dem leuchtenden Objekt, im schummrigen Licht ein größeres suchen.

Dabei entdeckt man samtene Stofftapete, ein geschwungenes Sofa mit Troddeln und Fransen, zwei ebensolche Sessel, einen geschmacklosen Teppich und einen extra niedrigen Tisch.

Als Frederico das erste Mal in ihn hineinläuft, schreit er noch "Aua!", beim dritten Mal wird er wirklich vulgär.

Als man trotz Abgrabbelns der Wände keinen Lichtschalter gefunden hat, findet man sich gemeinsam seufzend vor dem Riesenhandy zusammen.

Aus dem weltallartigen Hintergrund schießt ein bizarres, weißes Objekt über den Schirm. Eine den Zuschauern bisher unbekannte in die waagerechte umgelegte Toilette mit Spülkasten und Kette.

Rocky und Frederico schweigen, geben sich der Betrachtung hin.

Ein antikes Riesen-Handy, ohne Nummern und Buchstaben, dafür Bilder von geheimnisvoller, geradezu kosmischer Eleganz.

Ein Zimmer mit Teppich statt Linoleum.

Plüschige Sitzmöbel statt Plastikstühle mit verchromten Beinen.

Atmosphärische Dunkelheit statt knatternder Neonröhren und nirgendwo ein Klingelknopf in Sicht.

Wo sind sie hier?

Wer hat wofür dieses Zimmer einst geschaffen?

Wer hat ihn dann für welchen Zweck genutzt?

Zu geheimnisvoll ist dieser Raum.

Fragen über Fragen und keine Antwort in Sicht.

Stripper kommt hineingeschritten und spürt es instinktiv: Es ist der geeignete Augenblick, sofort sein Erlebnis mit dem Spiegel von sich zu geben.

Er hüstelt leise, ohne beachtet zu werden.

Er räuspert sich etwas vernehmlicher, um die Aufmerksamkeit auf sich und sein kleines Abenteuer zu lenken. Rocky sieht ihn mißbilligend an und Stripper spricht:

"Ihr werdet es nicht glauben! Aber ich bin soeben durch einen Spiegel gestiegen."

Stripper genießt die Wirkung auf sein Publikum.

"Da war ein Gang dahinter. Ein Gang mit vielen verschlossenen Türen. Aber eine war offen. Da habe ich eine Unzahl Lappen gefunden, ..."

"He, seht euch den mal an!" Fredericos Zeigefinger schnellt in Richtung Ausgang, wo sich soeben der Weiße einfindet, der sich zur allgemeinen Heiterkeit aller, keiner weiß womit, dunkel angemalt hat.

Rocky zeigt mit dem Daumen auf George:

"Das erste Gespenst, das versucht, sich die Sympathie seiner Mitmenschen zu erschleimen."

Die Hospitaliana lachen herzlich ab.

Dabei wollte George lediglich etwas gegen das entsetzliche Hautjucken tun, welches ihn quält, seit er aus dem Eimer mit dem Reinigungsmittel trank.


Marylin, noch vor kurzem gruseliger Star mancher Bühne, hat die Arme auf denm Rücken verschränkt und schlurft nachdenklich herum.

Zwar bietet die Pathologie so einiges an Möglichkeiten, doch noch fehlt ihr der rechte Gedanke für die konkrete Umsetzung, um Ideen in harte KVK's (Krankenversicherungskarten) zu verwandeln.

Mit einem energischen Tritt befördert sie den am Boden liegenden, zerschnittenen Feuerwehrschlauch zur Seite.

Als sie ihren irrenden Blick vom Boden aufrichtet, entdeckt sie hocherfreut, daß die Pathologen offenbar keine Zeit mehr fanden, ihr Handy mitzunehmen.

"Musik", sagt sie zu sich selbst, Musik wäre jetzt bestimmt das richtige.

Die rotlackierten Finger fahren über die Bedienelemente.

Leider bekommt sie erst einmal nur den Nachrichtenüberblick zu hören, Brille & Krawatte offenbart gerade pikante Details aus Elviras Verwaltungsarbeit.

Nachrichten, die in der betroffenen Dienststelle hektische Dementis und betriebsame Geschäftigkeit auslösen.

Marylin drückt erneut die fiependen Tasten.

Blut & Busen, mangels Ideen, veröffentlicht eine Ausgabe, die man schon vor zwei Monaten gebracht hat. Niemandem fällt es auf, keiner beschwert sich.

Auch keine Musik!

Marylin drückt und fiept weiter, lauscht "Frau Heute", ein Special zu den Volleyballmeisterschaften, und verharrt schließlich beim ZeitenWanderer.

Dort läuft, von Musik unterlegt, eine Umfrage: "Was würden Sie als Patientin alles ändern, wenn Sie die Besitzerin des Magazins Brille & Krawatte oder einer der anderen Schmutzschleudern wären?"


Stripper, an dessen weiteren Erläuterungen niemand Interesse gezeigt hat, hilft jetzt mit, mehr Licht zu suchen und zu finden. So stolpert man nun also zu dritt im matten Licht eines prähistorischen Bildschirmschoners über die überall herumliegenden Papierbündel, läuft gegen einen niedrigen Tisch, rempelt etwas, was ein beladener Sessel sein könnte und schubst den darum herum kreisenden George aus dem Weg.

Georges auffälliges Interesse für dieses Möbelstück rührt daher, daß es bisher niemandem eingefallen ist, daß villeicht auch er leibliche Bedürfnisse haben könnte.

Etwa Nahrungsaufnahme, Wärme und ein Plätzchen um abzulassen.

In diesem Sessel aber liegt etwas, das eßbar ist. George nutzt die Gelegenheit seinen Bauch zu befriedigen, schmatzt und kaut und schluckt, während Frederico und Stripper weiterhin nach einer ergiebigeren Lichtquelle suchen.

Rocky aber, von des heutigen Tages Arbeit ermattet, sucht nur noch Erholung. Rüde tritt er den Weißen beiseite, um sich selbst in den Sessel zu werfen. Einfach drauf auf alles, was da ist! Hauptsache erst einmal sitzen.


Sekunden später leuchtet ein kleiner Kronleuchter den Raum aus, was George veranlaßt, sich an den Hals zu greifen. Eine Fontäne drückt seinen Mageninhalt ins Freie.

Stripper und Frederico gaffen den amüsierten Rocky an. (Er hat gerade festgestellt, daß der Frederico-Typ orange Haare und ein blaues Gesicht hat.)

"Na, was gibt's da zu glotzen? Ich arbeite viel und hart und muß gelegentlich mal sitzen!"

"Also, es ist so ..." Frederico wendet den Blick ab, zeigt mit dem Finger hinter Rocky, "Also - also - da sitzt schon einer."

Rocky macht ein unsicheres Gesicht, "Was quatscht du da?" Mühsam wendet er seinen Hals bis zur Schmerzgrenze, sieht aber nur eine dicke Brille. Schnaufend dreht er seinen Hintern im Sessel.

Ein Schrei, ein Spurt, an Stripper und Frederico vorbei.

Mit dem Armen rudernd jagt Rock hinaus.

Stripper und Frederico sehen ihm hinterher.

Rocky klatscht ungebremst und deutlich knallend gegen einen reflektierenden Spiegel, den er für einen Durchgang hielt.

Leise, langsam, schmiert er ab.

Die billigen Sohlen seiner Sandalen singen hell, als Rocky, im rechten Winkel zur Wand, bäuchlings zu Boden gleitet.

Warum mußte er sich auf den Schoß einer mumifizierten Leiche setzen?

Dann noch eine, die so geschmacklos gekleidet ist?

Warum passiert so etwas immer nur ihm? Nie den anderen Idioten?

Müde und genervt schließt er die Augen.


"Okay", strahlt Elvira über das ganze Gesicht. "Die Virenflut ist erledigt. Die paar Löcher im Netz wieder dichtgemacht." Befriedigt schiebt sie die Schirmmütze in den Nacken.

"Habe ich dich richtig verstanden?"

Angelina beugt sich mit verkniffenem Gesicht nach vorn, ihre nußfarbenen Augen fixieren die Kollegin: "Ein Virus hüpft nicht nur in unserem Kommunikationssystem herum, sondern hat auch noch ein paar Löcher hineingestanzt?"

"So könnte man sagen. Ja." Elvira streicht über ihr blondiertes Bürstenhaar.

"Was soll das heißen? Löcher?"

Angelina macht ein unfreundliches Gesicht, welches überhaupt nicht zu dem hellen breiten Schreibtisch paßt: "Was sind das für Löcher? Kann da etwas eindringen oder womöglich etwas hinausgelangen?"

"Höchst unwahrscheinlich." Elviras wedelnde Hand läßt keine Befürchtungen zu.

Nein, nein. Dergleichen habe man nicht zu befürchten.

Es handele sich hier schließlich um ein modernes Kommunikationsnetz.

Sie lächelt fröhlich.

"Ich kann nur hoffen, daß du recht behältst", entgegnet Angelina ihrer Kollegin, in etwas gereiztem Tonfall.

Elvira schlägt ihre himmelblauen Augen auf und nieder.

"Ich bitte dich, Schätzchen! Natürlich ist die Lage unter perfekter Kontrolle.

Es ist ein Feldversuch.

Glaubst du im Ernst, ich würde immer noch so viele Viren herumhüpfen lassen, wenn ich nicht genau wüßte, daß die Dinger harmlos sind?

Daß die paar Löcher weder etwas heraus- noch etwas hereinlassen?

Ich habe es dir doch erklärt, das ultimative, präventive Sicherheitssystem!

Die Patientinnen der Zukunft werden noch nicht einmal mehr schlecht denken können! Tun sie es doch - pschhhhhht - fließt der richtige Wirkstoff an die richtige Stelle!

Wir sind Pioniere, Angelina! Wir sind die neue, bessere Zeit!

Alle werden glücklich sein, weil wir nämlich das Unglück verboten haben werden. Ich verstehe gar nicht, was du da für ein Gesicht ziehst! Nun freu' dich doch endlich!"

Elvira putzt ein paar Fussel von ihrer schneeweißen Uniform.


Marylin arbeitet noch an ihrem Modell über das Geldverdienen im allgemeinen aus der Pathologie im besonderen, als ihr ein besonders naheliegender Gedanke kommt:

Abgelebte Männerkörper ausstopfen und in geeigneter Spielzeugstellung für besonders lebenshungrige Damen anbieten!

Lächelnd rauscht ihr Blick über die zahlreichen Lebern, ungezählten Nieren, die Gallen und Mägen in Einweckgläsern, die ihr zu dieser sinnigen Inspiration verhalfen.

Ihre kirschroter Mund zaubert ein Lächeln hervor. Was wohl so ein Männerkörper bringen mag?

10.000 KVK's? Eigentlich zu wenig.

50.000 KVK's? Klingt schon besser.

Und was wäre, wenn ... wenn man nicht gleich den ganzen Körper verkaufe?

Die eine könnte doch Brust und Arme haben, die nächste den Unterleib und die dritte den Kopf!

Marylin wirft ihren Hintern schwungvoll auf den Seziertisch, fällt auf den Rücken, strampelt mit den Beinen und juchzt laut vor Vergnügen!

Lachend wirft sie sich wieder auf, redet, gestikuliert zu imaginären Kundinnen. "Männerschädel als Trinkgefäß für ausschweifende Parties!

Als Fußschemel!

Als Briefbeschwerer!

Als originelle Bleistiftanspitzer!"

Sie verschränkt ihre Arme auf dem Seziertisch, der jetzt wie eine Theke aussieht, zwinkert hinüber zu den Kundinnen ihrer Einbildung: "Lassen Sie ihre Phantasien spielen! Die Anwendungsmöglichkeiten sind unbegrenzt!" Marylin seufzt glücklich.

Aber ach, die Realität bricht ein in ihr wunderschönes Luftschloß!

Woher so schnell das notwendige Rohmaterial, unbeschädigte Männerleichen, hernehmen?

Vor allem, wo in letzter Zeit immer mehr von diesen Figuren verschwinden?

Marylin, gänzlich unbeleckt von allen geheimnisumwitterten, detektivischen Profi-Methoden, geht ihren eigenen, ganz direkten Weg.

Sie nimmt einfach das zurückgebliebene Handy der Hundsfellies in die Hand und gibt eine Kleinanzeige auf, ob irgendjemand wisse, wo all die verschwundenen Männer hin seien. Sie interessiere sich aber nur für die Körper, vorzugsweise schon enthirnt.


Da die Vokabel "Männer" nach "Sex", "Wäsche" und "Volleyball" eines der beliebtesten Stichwörter ist, ist die Resonanz dort draußen bei den Anwenderinnen gewaltig.

Eine jede, die die neuesten Anzeigen- oder Diskussionsthemen permanent nach ihren Lieblingsstichworten filzen läßt, erfährt via piepsendem, blinkenden oder vibrierenden Handy sofort von Marylins Anfrage.

So kommt sie in Minutenschnelle zu reichlich Rückmeldungen in Form neuer Männerwitze, dümmlicher Tips wo sonst man noch nachfragen könne, Alternativhinweisen, was man statt Männern für diesen oder jenen Zweck benutzen könne und allerlei mehr.

Konkrete Hinweise auf ihre Anfrage sind nicht dabei.

Dafür ein paar uninteressante Angebote vorhandene Männer zu übernehmen.

"Hallo, ich hätte einen schon etwas abgenutzten Mann gegen gut erhaltenes Wasserbett abzugeben."

Marylin lächelt müde. Das kann sie sich wärmstens ausmalen, wie die Figuren aussehen! Speckbäuchig, faltig und unförmige Knie!

Huuuch, ihre Fingernägel ... Also, wenn sie da nicht bald was unternimmt ....

Und überhaupt - wie soll sie die Idioten denn überhaupt enthirnen? Was außerdem bestimmt verboten ist.

Und selbst wenn nicht - Männerkörper noch mit Hirn hat sie ja eigentlich schon - sogar ziemlich wenig abgenutzte Exemplare ...

Ihre tiefroten Lippen zeigen Zähne, als ihr Blick Richtung Kellerluke schweift.

Das Pathologen-Handy fiepst und reißt sie aus ihren neuen vielversprechenden Gedanken heraus.

Ein schneller Griff in die blonde Dauerwelle, ein Blick aufs Display - Oh, Blackmamanochmal! - Eine "nicht-öffentliche" Antwort von einer gewissen Elvira.

Eine Mitteilung, die für den Rest der mitlesenden Nation perfekt unsichtbar bleibt.

Offensichtlich direkt aus der Verwaltung - nur die können solche "Tarnkappen"-Nachrichten versenden.

Marylins gute Laune weicht kaltem Schrecken.

Bestimmt will man ihre schöne Geschäftsidee vermasseln! Oder hat noch Schlimmeres im Sinn. Jetzt nur ja nichts falsches sagen!

"Jaaa?"

Die Verwaltung interessiert sich für ihr Interesse an den Männerkörpern ohne Hirn.

(Und noch sehr viel mehr, weshalb sie über das Pathologiehandy telefoniert, was ihr aber nicht mitgeteilt wird.)

Marylin stammelt schwitzend, daß sie das mit den Männerhirnen ....

Ja, äh, also, eigentlich war das nur so eine wilde Idee.

So ein kleiner Scherz eben.

Natürlich wisse sie, daß es verboten sei, Männerkörper einfach so zu enthirnen.

Es war ja auch wirklich nur so zum Ablachen, nicht?

Vielleicht doch nicht so originell, haha.

Ihr Humor ist wohl nicht von allen verstanden worden. Haha.

Ha.

Aber keineswegs sei solches verboten, antwortet Elvira, an jedem Ohr ein Handy, weil sie immer noch ein paar dieser völlig falschen Anschuldigungen aus Brille & Krawatte dementieren, abstreiten und als bösartige Verleumdung ihrer politischen Gegner abkanzeln muß.

Sie nennt Marylin eine Adresse, wo man Männerkörper zweckgebunden abliefern könne. Auch sei die Entsorgung der Männerhirne nicht nur kostenlos, im Gegenteil, man bekomme neuerdings auch noch ein paar KVK's obendrein!

Marylin atmet erleichtert auf. Den Rocky-Typen wird sie gleich als ersten enthirnen.


Leicht benommen, hat sich Emilio alias Rocky, Detektivbüro, Sicherheitsdienst usw., usw. gerade wieder vom Boden bis auf die Knie gezwungen, als Stripper den Fehler begeht, ihn zu fragen, ob er jetzt endlich den Spiegel ausgetestet hätte?

Jetzt würde er es ja wohl glauben müssen! Man kann eben doch hindurch marschieren!

Rocky hält seine lädierte Nase fest, während sein suchender Blick damit beschäftigt ist, einen nicht zu großen, aber festen Gegenstand aufzufinden, der als Schlagwaffe geeignet wäre. Leider liegen überall nur diese grünen Papierpakete herum.

"Stripper?"

"Ja?"

"Würde es dir etwas ausmachen, dich mit dem Gesicht zu dem von dir entdeckten Zauberspiegel zu stellen?"

Stripper, von Natur aus mißtrauisch, bejaht. Es würde ihm etwas ausmachen.

Rocky brüllt unbeherrscht herum, daß die Wirkung des Wunderspiegels offensichtlich nicht sehr lange angehalten habe.

Stripper reagiert ehrlich verwirrt, erläutert, erklärt, beschwört, fleht beinahe, man möge ihm Glauben schenken, was Frederico nicht kapiert und Rocky nicht tut.

Nach einer Flut von Beleidigungen wird Rocky ironisch: "Dann habe ich mir das wohl so vorzustellen?" Und damit wollte er gegen einen mittelgroßen Wohnzimmerspiegel klopfen. Was ihm nichzt gelingt, weil sein Arm darin verschwindet.

Stripper lächelt wieder sein teures Lächeln, Frederico macht "Oh!" und Rocky zieht seine Extremität ganz langsam zurück. Nach einer kurzen Überprüfung auf unversehrte Vollständigkeit, schiebt er vorsichtig die rechte Wange an den Spiegel.

Als Rocky keinen Widerstand spürt, wendet er langsam sein Gesicht in den dahinterliegenden Gang.


Elvira kreischt. "Da ... da ... da ... !"

Zitternd zeigt ihr feingliedriger Finger auf den Monitor.

Angelina findet weiter nichts Bemerkenswertes auf dem Bildschirm und ist echt sauer über diesen blöden Witz.

Vor allem weil sie darauf reingefallen und extra aufgestanden ist. Hat aber auch richtig ernst geklungen. Seit wann hat die Elvira-Ziege jetzt eigentlich auch schauspielerisches Talent? Ob die heimlich Kurse besucht?

Elvira, die ein zweites Mal hinsieht, findet jetzt auch nur einen gewöhnliches Verwaltungsformular. Sie lächelt etwas unsicher zu ihrer Kollegin hinüber.

Es war also doch zuviel Arbeit und nicht der blöde Rocky-Kerl, der ihr gerade auf dem Bildschirm erschienen ist. Denn den glaubt sie bereits enthirnt!

Er beging nämlich den Fehler, sich vor ein paar Tagen im Gang vor ihrem Privatgemach zu zeigen.

Sie sprach ihn an.

Malerin sei sie. Eine von besonders leidenschaftlichen Bildern, sagte sie. Ihr fehle noch ein Motiv und ob er wohl so freundlich sein könne, ihr kurz Modell zu stehen. KVK's gebe es natürlich auch.

Rocky, nichts Böses ahnend und hocherfreut über dieses leicht verdiente Geld, stellte sich sehr gern zur Verfügung.

Willig ließ er sich ans Bett anschnallen, als sie erklärte, die Farbe müsse jetzt kurz trocknen und sie sei gleich zurück und ihm werde sie natürlich auch gleich eine Erfrischung mitbringen.

Das Bett aber war ein getarnter Lift, der direkt nach unten in die Enthirnungsanstalt führte. Doch da Rocky nur einssiebzig groß ist, waren die Schnüre zu kurz, um ihn am vorgesehenen Rahmen anzubinden. Da hatte sie ihn ans Bettgestell geschnürt, wodurch der Lift unter ihm abfuhr, er selbst aber oben strampelnd am Gestell zappeln blieb.

An diesem Tag wurde nur ein Kissen enthirnt und ins All geschossen. Rocky hingegen gelang nach mancherlei Mühsal die Flucht.

Anschließend schwor er sich, diesen Gang nie, nie, nie wieder zu betreten.

Zwar wußte er nicht genau, was geschehen war, aber sein untrüglicher Instinkt sagte ihm, daß der ursprüngliche Plan gewiß nicht zu seinem Nutzen gedacht war.


Entsetzt zuckt Rocky aus dem Spiegel zurück.

"Was war denn?"

"Ich ... ich ... habe ein gräßliches Gesicht gesehen. Blond und blauäugig."

"Ach? Marylin ist hier?", fragt Stripper.

"Nein, nein", erwidert Rocky. "Die Tante ist tiefdunkel, Bürstenschnitt." Und dann erzählt er die ganze Geschichte, wie er Elvira vor kurzem begegnete, eingebettet in die dramatische Erzählung eines hochspannenden Falles.

"Und dieser Fahrstuhl, der ging nach unten?"

"Ja."

"Wie weit runter?" hakt Stripper nach.

"Was weiß denn ich? Meine Sorgen galten eher dem nach oben zu kommen und zu bleiben."

"Ich dachte, du bist von der Verwaltung! Da würde es doch niemand wagen ... "

"Hör mal, Bubi." Rocky knufft einmal kräftig in Strippers Waschbrettbauch. "Es gibt da so einige Dinge von denen du nichts verstehst und es ist viel gesünder für dich, wenn das so bleibt. Und jetzt möchte ich nicht weiter bei der Arbeit gestört werden."

Mit äußerster Vorsicht steckt Rocky erneut sein Gesicht in den Spiegel. Da ist doch allen Ernstes ein milchig beleuchteter Gang mit allerlei Türen zu sehen.

Vorsichtig schiebt er die Schultern nach. "Frederico?"

"Ja, Herr Rocky?"

"Hilf mir weiter rein."

Stripper rempelt Frederico zur Seite, greift Rockies Beine und schiebt ihn mit voller Kraft durch den Wohnzimmerspiegel.

Ein hallendes "Idioooot!" erschallt, dann ist es still.


Elvira hat wirklich viel zuviel gearbeitet in letzter Zeit. Sagt sie ja immer.

Jetzt sieht sie doch allen Ernstes schon wieder den Enthirnten von neulich auf ihrem Schirm!

Diesesmal spaziert er durch ihr unbekannte Gänge.

Gaaaanz ruhig bleiben, Elvira.

Du wirst jetzt nicht die doofe Angelina fragen, ob und wenn, was die sieht.

Du wirst nicht verrückt.

Es ist alles nur etwas sehr viel in letzter Zeit.

Tief durchatmend nimmt sie Daumen und Zeigefinger von ihren Augen.

Vielleicht sollte sie jetzt erst einmal ein paar Viren killen? Immer ein schönes Erfolgs- und Jagderlebnis ....

Bäng!

Der Virus! Das dämliche Gesicht auf ihrem Schirm!

Das ist des Rätsels Lösung!

Ein selbsttätig mutierender Virus!

Eben noch sieht sie nur die dumme Fratze, dann krabbelt die Type auch schon durch Gänge! Unglaublich wie kreativ diese Virenschreiberinnen sind!

Die sollte man mal in der Verwaltung einsetzen!

Hm, kein schlechter Gedanke eigentlich. Elvira macht sich eine diesbezügliche Notiz.

Eine, die sie der Angelina nicht mitzuteilen gedenkt.

Am Ende stellt die doch bloß wieder dumme Fragen.

Zum Beispiel von woher sie, Elvira, den Rocky-Typen kennt.

Eine Frage, die Elvira auch der Virenschreiberin stellen möchte.

Aber was, wenn es tatsächlich gar kein Virus ist? Elvira zieht sich die Schirmmütze tief ins Gesicht. Verhält sich zumindest eher atypisch das Teil.

Vielleicht ist es ein Dämon?

Ein Programm, welches durch das Netz saust, um seiner Herrin illegal Informationen zu beschaffen?

So gesehen, vielleicht sollte man gar nicht versuchen, das blöde Ding zu killen?

Vielleicht sollte man eher warten, bis es informationsbeladen zu seiner Herrin zurückläuft?

Elviras Augen blitzen unter dem dunklen Mützenrand. Ihr ist jetzt schon wieder viel besser zumute.


Durch die letzten Neuigkeiten, wo man Männer enthirnen könne, fühlt sich Marylin rundum gestärkt. Daß man dafür auch noch bezahlt wird, läßt sie schwungvoll zur Handymusik tanzen.

Schließlich beendet sie diesen kleinen fröhlichen Ausfall mit dem Satz "Mit einem Minimum an Einsatz maximalen Nutzen ziehen".

Der Weg dorthin, soweit ist sie sich klar, kann nur über die Vermarktung von männlichen Ersatzartikeln führen.

"Sex ist das Thema, dem sich keine entziehen kann!", spricht sie in die Regale voller Arme und Beine, die noch nicht den Weg in die Küche fanden.

Also, sie dreht sich auf der Hacke um, früher oder später wird ihr eine jede geradezu zwanghaft etwas abkaufen müssen.

Ein Auskommen über die Jahre somit sichergestellt.

Marylin reibt sich klatschend die Hände und gönnt sich einen kräftigen Zug medizinischen Alkohols. Rülpsend beschließt sie, den unter ihr herumlaufenden Halbfertigprodukten ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Suchend irrt ihr Blick nach einem Mikrofon, Hörrohr oder ähnlichem Hilfsmittel.

Sie hat unerhörtes Glück, stößt sie doch auf ein ultramodernes Endoskop, welches schon mit integriertem Männerhirn, Sprachsteuerung und frei beweglichem Kameraauge arbeitet. (Ein Abfallprodukt aus der Weltraum- und Fernsehforschung.)


Nach kurzen Studium der aufgedruckten Bedienungsanleitung klopft Marylin begeistert an den blechernen Hauptbehälter, in welchem das Männerhirn in gelblicher Flüssigkeit schwimmt: "Okay, Fluse, schick das Auge mal runter in den Keller und überwach' die drei Triefnasen da unten."

Es folgt eine kurze Debatte seitens des Männerhirns, was denn die wissenschaftliche Definition von "Triefnase" sei? Abgesehen davon - Keller? Was'n für'n Keller?

Sinn und Aufgabe der Kamera sei doch sonst nur in den Rectum irgendeiner Leiche zu wandern und ...

Marylin unterbricht ungeduldig. Blödes Männerhirn!

Leicht genervt wirft sie das hirnferngesteuerte Kameraauge selbst in die Kellerluke hinein. Das Auge purzelt und purzelt, entdeckt dann aber ein Licht.

Ein paar barsche Anweisungen später hat Marylin immerhin schon zwei Typen auf ihrem Schirm, immer fleißig kommentiert vom munter schwätzenden Endoskop-Männerhirn: "Da steht so'n Langer, der aussieht, als wenn man ihn zu lange gebraten hätte. Daneben so'n beschmierter Trottel." Den Rocky-Heini entdeckt die Kamera vorerst nicht.

Nicht verwunderlich, denn der dackelt und wieselt, läuft und rauscht noch immer ungehindert im Net herum, vorbei an mancherlei Türen und vielerlei Pforten, Portalen und Luken.

Als er dann endlich eine offene Tür erwischt, empfindet er das Ergebnis als - wiewohl nicht uninteressant - so insgesamt gesehen, doch eher enttäuschend.

Schließlich gibt es nichts weiter zu sehen als zwei gigantische, leicht ovale Monitore. Alles was die beiden simultan bringen, ist ein Riesenhandy mit einem Auszug von Hospitalias Gegenwartsgeschichte.

Na ja, denkt Rocky, da scheinen manche Eltern ja wohl doch recht zu haben.

Auch das Fernsehen ist der Hölle entsprungen.

Obwohl - bei so einem öden Streifen?

Eine weibliche Stimme hinter ihm fragt ihn, ob er Emilio alias Rocky, Sicherheitsdienst, Begleitservice, usw., usw. wäre?

Der Angesprochene wirbelt herum.

Vor ihm steht ein weißes weibliches Schreckgespenst.

Rocky schluckt.

"Ich hätte einen Auftrag. Sie haben doch Interesse, oder?"

Rocky nickt. Also, daß sich sein Ruf bis hierher - wo immer er hier auch sein mag - herumgesprochen hat. Stark.

Ob er sagen soll, daß er nur Handlanger ist? Und die Marylin seine Chefin? Ob er dafür am Ende mehr KVK's nehmen kann? Schließlich muß er an eine angenehme Zukunft denken. "Womit könnte ich ihnen denn dienen?"

"Mein Name ist Frederike. Mein Auftrag: Suchen Sie alle Toiletten auf, die sie finden können."

Rocky lächelt unverbindlich.

"Ich möchte, daß sie eine Botschaft für mich verbreiten!

Sie lautet ganz einfach: 'Rocky Hood war hier'."

Sie sieht ihn sehr eindringlich an.

"Rocky, schreib' es den Leuten im Net!

Sag' es denen, die noch Papier benutzen!

Sag' es denen, die nur in die Röhre glotzen!

Sag' es denen, die nichts von alledem tun!

Schreibe es an jede Toilettenwand!

'Rocky Hood war hier'."

Dann rüstet sie ihn mit zwei Patronengurten voller Kugelschreiber, Wachsstiften und Füllern aus, außerdem zwei Holster mit Spraydosen.

Rocky sieht verdammt gut aus damit.

Frederike lächelt melancholisch, sieht ihn dann beinahe zärtlich an. "Denn jeder Mensch, Rocky, ob Mann oder Frau, ob Staatsanwalt oder Opfer, jeder von denen sollte wenigstens dort öfters einmal anlangen. Ich muß nun gehen. Erfülle die Aufgabe, die das Schicksal dir zugedacht hat."

Sie legt den rechten Zeigefinger auf seine Lippen. "Adieu, mein Held. Viva la libertad!"


Da die Jagd auf den elektronischen Dämonen inzwischen eher in eine Art Beobachtung umgeschlagen ist, verfügt Elvira über genügend Zeit, sich auch noch anderen kleinen Problemchen widmen zu können. Zum Beispiel dem kleinen Nachrichtenaustausch mit Marylin.

Es ist doch immer das gleiche!

Da hat man eine gute Idee, kann eine Zeitlang damit gutes Geld verdienen und schon melden sich irgendwelche billigen Nachahmerinnen!

Wer anders als sie hatte denn schon vor langer Zeit den Gedanken gehabt, Männerhirne als billige Steuerzentralen für die teure Weltraumforschung zu nutzen? Doch sie!

Wer hatte denn erst den Slogan "Raus und weg damit!" geprägt? Doch sie!

Wo all die anderen Kühe versagt hatten, "Wir müssen eben mit den Typen leben, bis sie sterben", hatte sie den perfekten Kompromiß gefunden!

Seitdem erst wird doch enthirnt, was immer an überflüssigen Kerlen so anfällt! Ohne daß man erst auf deren Ableben warten muß.

Und weil sie ein findiges Mädel war und ist, fiel ihr auch eine gute Lösung für die enthirnten Körper ein: Umbau zu einem weiblichen! Bei den Preisen, die so ein neuer Körper sonst verlangt, eine hochinteressante Alternative.

Damit hat sie doch echt hochsozial gehandelt!

Natürlich hat sie selbst auch ein wenig daran verdient. Aber sie will ja auch leben! Außerdem schreit ihr aufwendiger Lebensstil einfach nach vielen KVK's!

Bald lief dieses nie angemeldete Gewerbe so gut, daß sie Geschmack daran fand. Dummerweise stagnierten dann aber die Lieferungen.

Trotzdem blieb sie natürlich auf das Wohl ihrer Kundinnen bedacht. Deshalb sah sie sich auch außerstande, nicht noch mehr Männerkörper anzuliefern.

So müssen eben seit ein paar Wochen noch frei umherlaufende Idioten dran glauben.

Und jetzt will ihr irgendsoeine kleine Kröte Konkurrenz machen! Ihr! Ausgerechnet ihr, wo sie doch in dieser verdammten Verwaltung nicht einmal annähernd verdient, was sie wert ist!

Elvira denkt laut: "Der werde ich es zeigen!"

Angelina hebt geschäftig den Kopf. "Wovon redest du?"

Elvira erklärt, daß es sich um nichts Wichtiges handele. Um Männer.

Leicht geätzt dreht sie das Handy lauter, um den aktuellen Sportereignissen zu lauschen. Im ersten Entscheidungsspiel des großen Volleyballturniers haben die Urologinnen völlig überraschend die Anästhesistinnen vernichtend geschlagen. Frau heute berichtet exklusiv.


Etwas verwirrt ist Rocky ja schon. Weder die Angelina noch seine neueste Auftraggeberin, die Frederike, haben nach seinen Tarifen gefragt. Die müssen wohl alle über zuviel Geld verfügen. Na ja, er wird diesen Umstand zu gegebener Zeit berücksichtigen.

Aber wie die Tussi kam und ging und ihm diese gekreuzten Patronengurte verpaßt hat, das ist ihm schon irgendwie unheimlich. Ganz abgesehen davon, daß der Auftrag wirklich etwas merkwürdig ist.

Beinahe wäre der grübelnde Rocky, leise schnaufend, am nächsten offenen Tor vorbeigelaufen.

Stockfinster da drin.

Rocky sagt "Hallo?", erhält aber keine Antwort, was auch nicht weiter verwunderlich ist. Denn es handelt sich hier um das Innere eines geparkten Raum-Flaggschiffes einer fernen Zivilisation unter Führung von Captain Shit.


Die Mannschaft dieses Flaggschiffes weist - andere Planeten, andere Evolution - nur wenig Gemeinsamkeiten mit irdischen Lebewesen auf.

So hat man etwa bisher keine natürlichen Sinnesorgane für Licht oder Töne entwickeln können, was ein näheres Kennenlernen mit dem unerwarteten Besucher erst einmal unmöglich macht.

Doch selbst wenn Rocky die Kollegen aus dem All hätte sehen können, ist es eher unwahrscheinlich, daß er sie auf Anhieb als fremde Intelligenzen erkannt hätte.

Ihr Körperbau würde einem menschlichen Auge eher einen anderen Vergleich nahelegen: Eine Ansammlung von Haufen Hundekots.

Da die Kommunikation von Captain Shit und seinen Mannen ausschließlich über Gerüche funktioniert, wird Rockies Frage beim Eintreten "Wo ... wo bin ich denn jetzt schon wieder gelandet?" im wahrsten Sinne des Wortes nicht verstanden.

Genau dieser Umstand aber wird auch das Ziel ihres Besuches noch erheblich erschweren.

Denn man ist zu diesem abgelegenen Planeten entsandt worden, um die Möglichkeit von Verhandlungen mit den hiesigen Bewohnern zu prüfen, da man auf dem Heimatplaneten seit kurzer Zeit eine Unzahl Kapseln mit faltiger Masse darin erhält.

Auf diesen Unrat möchte man in Zukunft gerne verzichten.

Die Versender möchten ihren Müll doch fortan bitte in eine andere Himmelsrichtung entsorgen.

Leider haben inzwischen die Dünste aus Rockies Bademantel Zeit genug gehabt, sich im Schiff auszubreiten, was von den Shittaniern als die übliche Kommunikationsvariante aufgenommen wird.

Nur daß man in diesem speziellen Falle mit dem Inhalt der empfangenen Botschaft keineswegs zufrieden ist. Die gesamte Mannschaft fühlt sich in ihrem Ehrgefühl und auch ansonsten kräftig herabgesetzt.

Schonungslos wird zurückgewütet und gestänkert!

Rocky, mit zum Zerreißen geblähten Wangen, stampft, tritt, stolpert im Dunkeln herum, dabei in etwas Weiches, was seitlich unter seiner Fußsohle hervorquillt; Captain Shit, der sich ihm mutig entgegengestellt hat, um eine Begrüßung zu formulieren.

Glücklicherweise wurden die Shittanier im Laufe Ihrer Evolution dehnbarer als Gummi, so daß dem Captain ernste Verletzungen erspart bleiben. Andererseits ist der Besucher aus einer fremden Welt natürlich keineswegs begeistert von dieser Erstbegegnung mit einem Lebewesen dieses Planeten und wirft mit shittanischen Flüchen und Kommandos nur so um sich.

Rocky kläfft, keucht, ringt nach Luft, hustet, strampelt, wedelt mit den Armen - und plumpst von einer verspiegelten Zimmerdecke auf ein Doppelbett.

Dorthin, wo Marylin Rockies Zukunft plant und George nach seinem Leichenschmaus bemüht ist, sich weitestgehend zu entleeren, was ihm soeben geräusch- und geruchsvoll gelingt.


Geld oder Leben bekommt gerade ernsthafte Schwierigkeiten, weil die sportliche Empfehlung "Setzen Sie auf den Sieg der Anästhesie - eine sichere Anlage", ökonomisch gesehen, ganz offensichtlich Büffelmist war.


Elvira stößt häßliche Flüche aus. Seitdem der Dämon in dem dunklen Tor verschwand, hat sie ihn aus den Augen verloren.

Was zur Mama wird hier eigentlich gespielt?

Voll grimmiger Entschlossenheit stellt sie Nachforschungen an, um erst einmal die neue Konkurrenz zu zermalmen, zu zertreten, an die Wand zu drücken und anschließend platt zu bügeln! Zu ihrem Erstaunen wird sie nirgends fündig.

Elvira atmet tief durch, nimmt eine Lucky Lakritz zwischen die Zähne und wendet sich an ihre Kollegin: "Angelina? Sagt dir zufällig der Name 'Marylin' etwas?"

Die Angesprochene hustet und röchelt. Nein, antwortet sie. Und nochmal nein.

Nein, sie wisse nichts und wolle nichts wissen.

Habe Sie Marylin gesagt? Doch nicht, oder?

Angelina macht ein Schluckgeräusch.

Dann beugt sie weit über den Schreibtisch vor und flüstert nur noch: "Doch nicht etwa die Marylin von dem Detektivpärchen, oder?

Die kannst du doch nicht meinen, oder?"

Elvira wird trotz ihrer tiefdunklen Hautfarbe leichenblaß.

Ja, die Marylin und ihr Handlanger, haucht Angelina, nach links und rechts blickend. Ausgesehen hätten die wie ganz normale Leute - aber dann .....

So wie man sie, Angelina, in der Toilette ausgequetscht habe ... Sie schüttelt sich.

"Schmerzen am ganzen Körper - aber keine Stelle zu sehen! Vielleicht Typen von oben, Abgesandte aus der oberirdischen Verwaltung? Oder aber", Angelina öffnet ihren Kragen, "von ganz unten, direkt aus der Hölle."

Auf jeden Fall, bevor sie denen noch einmal begegne, springe sie lieber freiwillig vor einen Putzwagen. Nur im Interesse der Wählerinnen habe sie bisher geschwiegen, aber jetzt wo Elvira diesen Namen erwähnt habe ...

Angelina nimmt die Schirmmütze hoch, tupft sich mit einem Taschentuch über die Stirn, läßt die Mütze leicht schief wieder sinken.

Elviras Gedanken rasen.

Scheiße, die sind wegen der verschwundenen Männer hier!

Und sie hatte geglaubt, daß niemand die paar Armleuchter ernsthaft vermißt.

Sie stöhnt. "Oh, Mama."

"Hm", erwidert Angelina nach kurzem Geklickere am Bildschirm. "Im Einwohnerverzeichnis gibt es keine Marylin. Nur eine Kuh, die längst den Katzfellies zum Opfer hätte fallen müssen."

Sie stößt sich mit ihrem Rollstuhl vom Schreibtisch ab.

"Das erklärt natürlich einiges."

Elvira, das Gesicht schweißnaß, stammelt Unzusammenhängendes.

"Die Tante, die ich meine, war weiß wie ein Laken", wispert Angelina.

"Ja, und? Ja, und?" Elvira zittert am ganzen Körper.

"Was - 'Ja, und'?"

Hinter vorgehaltener Hand beugt sich Angelina wieder zu Elvira vor: "Das erklärt, weshalb all die Schläge, die ich bezogen habe, nicht zu sehen waren!

Schläge von einer Frau, die weiß war!

Schläge in der Herrentoilette!

Verstehst du jetzt?"

Elvira ächzt tonlos: "Weißt du, daß der Anruf direkt aus der Pathologie kam?"

Angelina nickt langsam.

Kaum hörbar stöhnt sie, welch üble Tat es wohl veranlaßt haben möge, daß der erste weibliche Geist in Hospitalias Geschichte ausgerechnet jetzt aufkreuze?

Elvira wird schlecht.

Sie rast zur Toilette.

Angelinas nicht länger bezähmbaren Lachanfall mißversteht sie als Streßbewältigung der anderen Art seitens ihrer Kollegin. Dabei freut diese sich nur, wie glänzend sie den blöden Elvira-Witz von vorhin, wozu sie extra aufstehen mußte, nun pariert hat.


Rocky fällt noch von der Decke Richtung Bett, als er Georges knatternde Töne vernimmt, die Übles verheißen. Noch aus dem freien Fall heraus nutzt Rocky die Matratze als Trampolin und Frederico als Seitenpferd, welcher daraufhin an die Wand zurücktaumelt, während Stripper geschickt ins Nebenzimmer ausweicht.

Rockies sportlicher Initiative zum geruchsneutralen Gang kommt leider eine Tür entgegen.

Zeitgleich mit dem dumpfen Knall wird ein kleiner, beleuchteter Raum sichtbar. Helles, freundliches Licht fällt heraus und ein kleines Keramikpodest lädt zum freundlichen Verweilen ein. Nur das nach oben führende Rohr mit dem Kasten (und die unschöne Kette) stören das Auge des Betrachters, sowie ein leises Quietschen auch dessen Ohr.

Rocky, eng an die Tür geschmiegt, gleitet zu Boden.

Stripper schleicht vorsichtig zurück, sieht Rocky am Boden stöhnen und fragt Frederico, wieso er ihn k.o. geschlagen habe?

Aber das hätte er doch gar nicht, der Weiße hätte nur (Frederico imitiert ein Pfurzgeräusch) gemacht, da wäre die Tür auf und der Rocky-Typ zu Boden gegangen. Und siehe da, wie von Geisterhand schließt sich die Tür vor ihren Augen wieder.

Rocky ("Meine Fresse!") richtet sich stöhnend auf.

Gerade noch rechtzeitig, um auf die Tür zu stieren, die da nahtlos in der Wand verschwindet.

Stripper, leicht irritiert, erblickt Rockies gekruzte Patronengurte voller Kugelschreiber, Wachs- und Buntstifte, ist aber zu vornehm, um zu fragen. Frederico macht noch einmal ein Pfurzgeräusch und die Tapetentür öffnet sich erneut.

Voller Begeisterung sehen sich die drei Hospitalianer an und öffnen und schließen das Teil wohl an die zwanzigmal mit hohen, tiefen, langen und kurzen diesbezüglich geeigneten Geräuschen.

Auch Frederico, animiert durch die zahllosen Pfurzgeräusche, ist auf dem Weg zur Brille. Fröhlich verschwindet er in dem dunklen Winkel, in dem schon Stripper vor kurzem verschwand.

Er, ohne Handy mit integrierter Taschenlampe, latscht durch den Spiegel durch, ohne ihn erst bemerkt zu haben. Was bestimmt nicht passiert wäre, wenn Elvira den "Beer-and-Tequila-forever-Virus" vollständig ausgemerzt hätte, wonach ihr im Augenblick aber immer noch nicht zumute ist.

Auch Frederico landet in dem Filmpalast, der den gleichen Film auf zwei Leinwänden gleichzeitig bringt.

Dazu noch total verformte solche.

Obwohl, irgendwo ja schon cool. Klar, die Perspektive, erst weiße Wand, dann 'n bißchen Mobiliar. Dann 'n Glas mit was drin, 'n Schluckauf, 'ne Hand, die das Glas greift und leersäuft.

Dazu 'n kurzer, echt harter Bericht aus Hospitalias Verwaltung.

Ja, doch, kommt schon irgendwo. Modernes Autorenkino wohl, vielleicht auch einfach ein Experimentalfilm.

Na ja, er muß weiter.

Einen Eingang darauf, landet Frederico in der Kleiderkammer eines frühen Vorfahren.

Was er nicht findet, ist ein Becken zum Reinpinkeln.

Darum öffnet er die Schiebetür des Einbauschranks, um von draußen Licht hereinfallen zu lassen.

Dort kauert Jim-Bob, im völlig überheizten Zimmer, mit leicht gerundetem und stark behaartem schneeweißen Bäuchlein, in verschlissener farbiger Unterhose.

Jim-Bob schwört auf Natürlichkeit, womit er Nacktheit meint, aber schamvoll bei der Unterhose aufhört.

Seines Zeichens glückloser Multi-Media-Dichter und Denker, ist er heute wieder einmal am meisten damit beschäftigt, nach all dem Martini noch gerade vor dem Bildschirm und schräg unter seiner über alles geliebten Stehlampe sitzen zu können.

Durch ein Geräusch zu seiner Linken aufmerksam gemacht, wendet er langsam den Kopf und sieht zu seinem Entsetzen eine Type mit orangenem Haar und blau beschmiertem Gesicht in seinem Wandschrank stehen.

Frederico ist geblendet und sieht erst einmal gar nichts.

Jim-Bob schreit und kippt mit dem Stuhl um, was Fredrico jetzt mühsam erkennt.

In Ermangelung einer besseren Idee, hält Jim-Bob den bunt bemalten Eindringling für einen Geist, weshalb er kreischend auf ihn zukrabbelt, um durch ihn hindurchgehen zu können.

Frederico, derartig unhöflich angerempelt, verliert den Halt und damit die Richtung. Stolpernd purzelt er aus dem Räumchen heraus, noch ohne sich erklären zu können, was eigentlich geschehen ist.

Waren das eben Luftspiegelungen?

Ein Film auf einem versteckten Fernseher?

Vorsichtig lugt er, auf allen Vieren kriechend, um die Ecke. Kein Fernseher, kein Toilettenbecken zu sehen.

Frederico hat sein Bedürfnis wieder vergessen. Langsam richtet er sich auf, sinniert erfolglos, klopft sich ab und schließt wieder zu den anderen auf.

Stripper und Rocky sind gerade bemüht, das Geheimnis des Keramikbeckens mit angeschlossenem Wasserkasten und Kette zu lüften.

"Moment", Rocky, die Hände auf den Holstern mit den Spraydosen, ruft die anderen beiden zurück. "Wir sollten vorsichtig sein! Wir wissen nichts über das Ding."

Freundlich lächelnd tritt Rocky auf George zu, schiebt ihn mit ein paar netten Worten Richtung Toilettenkämmerchen und stellt ihm dann ein Bein, daß er hineinfällt.

Eine Weile geschieht nichts, dann aber hängt George das Gesicht über das Becken.

Die Übelkeit will einfach nicht nachlassen und keiner dieser Idioten hat bisher irgendetwas unternommen, was zu seiner Genesung hätte beitragen können.

Na also, jubeln die Hospitalianer und fangen sofort an, heftig zu diskutieren, weshalb da wohl permanent Wasser läuft. Ein Haustempel? Ja, wahrscheinlich!

Ein Symbol für den unaufhaltsamen Fluß der Zeit, ganz so wie es schon auf dem Riesendisplay zu sehen war!

Im Hintergrund schließt sich die Klotür langsam wieder.

Stripper zweifelt noch vorsichtig an diesem soeben herausgefundenen Sinn der Apparatur. Doch weist man ihn energisch auf das Plakat am Inneren der Tür hin, wo unter anderem genau das zu sehen sei, was instinktiv sogar der Sabber erkannt habe: Man knie vor dem Becken und halte das Gesicht rein.

Wirklich? Ja, hm, das Plakat wäre ihm noch gar nicht aufgefallen. (War auch nur ein historischer Kloscherz über die richtige und falsche Bedienung der Keramik.) Gemeinsam dreht man sich zur verschlossenen Tür um. Frederico öffnet mit dem bekannten Geräusch.

George sitzt auf der Brille und legt in dieselbe einen Haufen hinein.

Marylin am Endoskop-Monitor erleidet einen Lachanfall.

Rocky klatscht Frederico mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.

Frederico schreit: "Weißer! Komm raus da!" Energisch weist sein Zeigefinger auf die Stelle neben seinem Bein.

Stripper wiehert etwas von einer neuen Interpretation des Symbols der Zeit.

Rocky scheucht den Weißen weg und brüllt Frederico zusammen, sofort Handtücher, Lappen und ähnliches zu holen, um dieses vollgeschissene weiße Becken umgehend zu reinigen!

Frederico gehorcht mit fliegendem Bademantel.

Die Troddeln seines Gürtels wehen, die Sandalen klatschen nur so über den Teppich. So hetzt er in das dunkle Räumchen durch den für ihn unerkennbaren Wandspiegel bis er anschließend erneut im Einbauschrank eines Vorfahren namens Jim-Bob steht.

Die Tür desselben ist nach wie vor offen und gibt den Blick auf den am Riesenhandy tippelnden Zimmerinhaber frei.

Frederico sieht Jim-Bob in seiner Unterhose und dem behaarten Bäuchlein klar und deutlich, verwechselt ihn aber mit dem anderen Weißen.

Er brüllt Jim-Bob an, daß er wirklich schon genug Unfug angerichtet habe! Er solle sofort - aber wirklich sofort - die Flossen von der Maschine nehmen!

Gleichzeitig müllt Frederico vor den Augen des völlig entgeisterten Besitzers dessen Wäsche zusammen, die er als Lappen zu benutzen gedenkt, um einen Haufen Kot aus einer Klobrille im Jahre der Dame 2048 zu entfernen.

Jim-Bob aber weiß, daß er jetzt verstanden hat! Es ist ein immer wiederkehrender Geist! Er hat nicht geträumt, keine Fieberphantasien und er befindet sich noch nicht im Delirium tremens! Ergriffen von dieser Gelegenheit, fällt er auf die Knie.

Fredericos blau bemaltes Gesicht lächelt freundlich herab: "Ach, und jetzt wieder lieb sein, du alter Scheißer, was?"

Frederico wendet sein blau bemaltes Gesicht ab, die Arme voll Wäsche.

Doch der unglückliche Haufen ist mittlerweile Geschichte, da George bereits routiniert an der Klokette gezogen hat, was die Sauerei in einem tosenden Wasserschwall verschwinden ließ. Nur noch etwas Gegluggere erinnert daran, was hier vor kurzem geschah. Der Verursacher der Peinlichkeit ist längst von dannen gedackelt, um irgendetwas Wärmendes für seinen heiseren Hals zu finden, auch ist er rechtschaffen müde.

Fredericos Frage, was er denn jetzt mit dem eilends herbeigeschafften Lappen machen soll, findet keine Beachtung.


Unter dem Heißlufttrockner hin- und herrobbend, versucht Elvira, die letzten Spuren der Magenentleerung aus ihrem Gesicht verschwinden zu lassen. Sie schließt die Augen in der warmen Luft, erfahrungsgemäß dauert es schließlich ein paar Minuten bis das komplette Gesicht wieder trocken ist. Wehmütig kreisen ihre Gedanken zu besseren Zeiten.

Da hatte sie so schöne Steuern allein für diesen einen Stripper-Typen erhoben, welche allesamt in ihre eigene Tasche flossen - nur um noch am selben Abend wieder an Strippers Eintrittskasse zu landen.

Alles bestens ausgeklügelt.

Und jetzt das! Ein Haufen gespenstischer Rächer, die ihr wegen einem kleinen Vergehen gleich drei Dutzend andere anhängen werden! Die würden sie bestimmt nicht nur ausgebeulte Bettpfannen wieder instand setzen lassen! Und alles nur wegen des kleinen Dreieckes, welches sie mit magischer Kraft in Richtung Männer im allgemeinen und Stripper im besonderen hinzieht!

Wehmütig hält sie die andere Gesichtshälfte in die warme Luft.

Wie eine Ertrinkende rasen ihre Gedanken zurück zu ihren schönsten Liebesereignissen im Rahmen der Verwaltung. Die Krönung von allem war ganz sicher, wie sie ein Dutzend mehr oder minder williger Mannsbilder zu sich einbestellt hatte, die sich im zehn Minuten Abstand bei ihr anzumelden hatten.

Jeder einzelne mußte alle Kleidung bei ihr lassen - die sie prompt verschwinden ließ.

Sie muß immer noch lachen, wenn sie an die Gesichter dieses nackten Dutzends Deppen denkt. Aber dann einfach selbst nicht zur Orgie erschienen zu sein! Hach, sie kann ja genial fies sein!

Während die zwölf armen Männerschweine nackt und frierend im Hinterzimmer gebibbert haben, hat sie sich genüßlich den dreizehnten ganz woanders zu Gemüte geführt. Sie atmet einmal tief durch.

Der Heißlufttrockner stellt rasselnd den Betrieb ein und Elvira ist wieder besser zumute.

Alles in allem, ihr wird schon was einfallen!

Sie prüft ihre Leibwäsche auf korrekten Sitz.

Ihr ist noch immer etwas eingefallen!

Wichtig ist eigentlich nur die Befriedigung ihres speziellen Hungers. Ein aufregendes Leben voller Sex. Und jemand mit ihren Qualitäten sollte eigentlich immer irgendwo irgendeine Quelle auftun. Und solange das Mannsvolk nichts dazulernt, wird sie jeden Tag satt werden. Ob es in der Hölle auch Männer gibt?


"Wo zur Mama sind wir hier?", fragt Stripper gerade seine Leidensgenossen.

"Tja, nun, wir haben eine Leiche, ein Riesenhandy und weiße Becken hinter einer Geheimtür", erwidert Rocky. Sie sehen einander an.

Dann - aufreißende Nebelbänke vor ihren Augen - wird es ihnen allen gleichzeitig klar!

Frederico weist mit zitterndem Finger auf das uralte Klosett: "Weiße Haustempel hinter Geheimtüren ... Das ... das sind religiöse Reliquien!"

"Die Gegenwelt!" haucht Stripper.

"Die Konterrevolutionäre!" schreit Rocky.

Sie sind in der höllischen Tiefe, wovor Black Mamas heilige Kühe dich dort oben immer gewarnt haben! Oh, ja, Frederico erinnert sich nur noch zu gut der Worte seiner Mutter: "Was weiß ist, das ist tot! Das ist blanker Knochen! Das ist Übel, Verderben und Verdammnis! Das ist das Reich des Bösen! DAS ist die Hölle!" Ihre Hände säbelten durch die Luft. Dann sprang sie über den Tisch auf ihn zu und fletschte ihre gepflegten blitzendweißen Zähne dicht vor seinem schweißnassen Kindergesicht.

Erschrocken weicht man zurück, wobei Rockies rechter Spraydosenholster die Tastatur berührt und statt dem Bildschirmschoner unter dubiosen Geräuschen ein vereinfachtes Logo des ZeitenWanderers erscheint.

Oh, Mama! Ausgerechnet der ZeitenWanderer!

Hatte die Verwaltung nicht immer gewettert, daß gerade der nur dem Reich des Bösen entsprungen sein könne? Die Autorinnen nicht allesamt als Teufel gebrandmarkt?

Hatten nicht die Mütter gerade vor dieser verderblichen Literatur gewarnt?

Frederico kreischt, wie er es einst als Kind tat: "Ich will nicht in die Hölle!"

Die anderen auch nicht.

Alle gleichzeitig, alle schreiend laufen sie zum Ausgang, wo sie sich in der Tür ernste Blessuren einhandeln.


Marylin wendet sich kichernd vom Schirm, auf dem sie das Geschehen im Keller verfolgt hat. Männer, geborene Komödianten wider Willen!

Tief durchatmend wendet sie sich nun wieder ihrer eigenen beruflichen Zukunft zu.

Wie bringt sie die Trottel bloß zur Enthirnungsanstalt?

Sie kann ihnen ja wohl kaum erklären, daß sie zu Sexartikeln zu ihrer, Marylins, persönlicher Bereicherung umgearbeitet werden sollen.

Ob auch jemand an den Körperteilen von dem weißen Deppen Interesse hätte? So als Exot? Wäre vielleicht zu probieren.

Ihre roten Fingernägel streichen durch ihre blonden Locken.


Rocky, vorsichtig über seine Rippen streichend, übernimmt erneut und sehr energisch das Kommando: "Das Riesen-Handy ist ganz offensichtlich noch funktionstüchtig! Nehmen wir also Kontakt auf!" Er strafft seinen Bademantel, Sand und Schmutzpartikel rieseln zu Boden.

Einen zaghaften Tastendruck später erscheint auf dem Bildschirm ein süffisant grinsender Kerl, der der Betrachterin den Mittelfinger entgegenstreckt, gefolgt von einer selbstablaufenden Diashow mit knapp oder gar nicht geschürzten Mannsbildern.

Alle Bilder in höchster Qualität.

Marylin stürzt angesichts dieses unerwarteten Reports an den Endoskopschirm. "Waaahnsinn! Haben die uns etwa doch was verschwiegen?"

Stripper schnippt mit den Fingern: "Bilder auf Bildschirmen - eine tolle Geschäftsidee! Nicht daß ich es nötig hätte, aber KVKs kann man schließlich nie genug haben, nicht wahr?" Er lächelt in die kleine Runde.

Frederico bestätigt.

Rocky knurrt.

Marylin am Endoskop zischt. An Startkapital hatte sie ja noch gar nicht gedacht!

Da hätte sie ja um ein Haar einen Fehler gemacht, ausgerechnet den Stripper-Typen auszustopfen. Obwohl - so gesehen - auf die Reihenfolge kommt es an ...

Warme Schauder durchlaufen sie angesichts dieser neuen Möglichkeiten.


Auf dem Riesenhandy läuft ein Video an:

Eine bullige Type mit Sonnenbrille und eckigem Kinn in nietenbesetzter schwarzer Lederjacke tritt auf. Jetzt schlägt er klatschend die linke Hand auf den rechten Oberarm und streckt den rechten Mittelfinger vor.

Unter kernig, krachender Musik erscheint der Titel "Verführung Teil 1 / Männertricks".


Erstmalig gerät der Bericht des Endoskop-Männerhirns ins Stocken. "Also, das ist aber wirklich nicht in Ordnung! Welches alte Schwein hat das denn aufgezeichnet? Ich meine, das ist ja nun wirklich nicht für Damenaugen bestimmt!"

Und sie möge sich bitte abwenden, ihre gute Erziehung nicht vergessen und es wäre amoralisch und sie solle ...

Marylin dreht den Ton des Männerhirns ab. Gebannt starrt sie auf den Monitor, der leider nur schwarzweiß überträgt, was im Keller in Farbe gebracht wird. Den Blick fest auf den Schirm gerichtet, köpft sie eine Flasche medizinischen Alkohols, verdünnt das Zeug, indem sie im Mund Speichel sammelt, wirft ihre blonde Lockenpracht zurück, dreht Radio Romantica ordentlich laut auf und sieht sehr genau zu.

Ein männlich markantes Gesicht erscheint. Der Typ sieht gepflegt und sehr ordentlich aus. Er stellt sich kurz namentlich vor, sagt dann, daß er Fotograf wäre, zeigt eine Kamera vor. Marylin dreht den Ton wieder lauter. Ob er sie wohl mal fotografieren dürfe? Vielleicht dort drüben, wo das Licht günstig sei? Abzüge für sie seien natürlich garantiert und er wäre sehr glücklich, wenn er dürfe, hält aber die ganze Zeit die Kamera dezent unten. Marylin dreht und wendet sich vor dem Endoskopschirm, als hätte sie den leibhaftigen Mann vor sich. Auf dem Schirm erscheinen vier dicke Auswahlknöpfe:


o Hau ab!

o Komm später wieder!

o Du bist mein Typ!

o Huch, mein eifersüchtiger Gatte kommt!


"Macht jetzt keinen Fehler!", Marylin betet inständig, daß die Typen im Keller jetzt den richtigen Knopf "Du bist mein Typ" drücken mögen.

Aber nein! Diese Saftärsche wissen es ja nicht besser!

"Hau ab!" haben sie gedrückt, diese Vollidioten!

Nun sieht man nur noch wie der arme Fotograf von zwei wütenden Hundsfellies attackiert und weit weggejagt wird.

Frustriert nimmt Marylin noch einen Schluck. Wie wohl der andere Knopf ausgesehen hätte? Der mit dem eifersüchtigen Gatten? Hätte sie ja zu gern gesehen, wenn sich da irgendsoeine Figur künstlich aufregt.

Wieder erscheint ein neckisch grinsendes Mannsbild, welches den Mittelfinger vor- und zusätzlich noch die Zunge rausstreckt.

"Sagt mal, was machen die da eigentlich immer?" Frederico glotzt auf seine vorderen Extremitäten.

"Hä?"

"Na, die Sache mit dem Finger", Frederico formt mühsam die Figur.

Das Riesen-Handy präsentiert nahezu unbeobachtet einen ziemlich aktuellen Text. In dem geht es um eine 1. vollautomatische, 2. unsichtbare, 3. intelligente Kamera eines Fernsehsenders.

Diese besondere Kamera geisterte einst durch die Gänge und nahm dabei skurrile Alltagssituationen auf, ohne daß sich die Leute dabei beobachtet fühlen sollten.

(Was sie trotzdem taten und mehr denn je.)

Mit immensem Geldaufwand hatte man das Projekt gestartet, schließlich pflegte man berechtigte Hoffnungen, auch die Verwaltung für dieses Projekt interessieren zu können.

Aber alles ging schief.

Die Kamera lief regelmäßig weg, ohne ein einziges Bild abgeliefert zu haben. Wenn sie doch einmal Bilder machte, dann nur solche von künstlerischem Anspruch, die restlos niemand mehr sehen wollte.

Mit eben dieser Kamera ist es, laut Artikel, nun aus. Das Experiment habe sich nicht ausgezahlt, war zu teuer, etc.. Ganz offensichtlich hatte man den Basisfehler begangen, der Kamera ihre Intelligenz aus einem männlichen Gehirn zuzuleiten, welches für diesen anspruchsvollen Zweck aber eben nicht ausreichend war.

Bedauern für den Eigentümer dieses Hirns wird in dem Artikel nicht deutlich. Und das obwohl der Betroffene in diesem Zustand keine Möglichkeit hat, die ehemaligen Arbeitgeber juristisch an das Versprechen der Rückverpflanzung zu erinnern.

Seine einzige Verwandte, die einen Prozeß auf Schadenersatz angekündigt hatte, ließ sich auf eine Abfindung ein, die immer noch erheblich weniger kostete, als wenn man den ehemaligen Arbeitnehmer wieder in seinen Körper zurückgesetzt hätte.

Stattdessen verwandelte man das Ding in ein ultramodernes Endoskop zwecks Spiegelung von Magen-/ Darmtrakten, was durchaus auch als Strafe zu verstehen war.

Da ansonsten niemand mehr Wert auf ihn legte und alle sauer waren, kam man übereinstimmend zu der Ansicht, er hätte nur bekommen, was er verdient habe.

Denn schließlich sollte er eine neue Generation Spaß, Amüsement und Humor nach Hospitalia bringen, was er eindeutig und vollständig unterlassen hatte.


In der sonst so schweigsamen Pathologie läßt ballerndes Gebrüll die Gläser klingeln. "WAAHAAS? Ihr Krankheitserreger! Ihr degenerierten Bakterien! Ihr stinkender Dünnpfiff! Ihr Ekzeme, Eiterbeulen, Rotzlöffel ...."

Marylin hält nichts mehr. Schamlos wiehernd, gröhlend und trommelnd, liegt sie am Boden. Die Sandalen fliegen ihr von den strampelnden Füßen.

So entgeht ihr, wie sich George mit einem schmalen Bilderbüchlein in Händen zwischen Stripper, Frederico und Rocky einen Weg zum Licht bahnt.

Klappt man dieses Büchlein auf, erschallt eine Melodie: "Crazy little thing called love!" und da sind Manne und Weibe zu sehen mit für den Eingeweihten leicht verständlichen Kommentaren. George, in eine Decke gehüllt und seinen schmerzenden Hals mit einem Kopfkissenbezug umwickelt, studiert interessiert die Details dieses Werkes.

Frederico und Rocky, moderne Menschmänner einer modernen Zeit, wissen damit eher wenig anzufangen. Nur Stripper (bald mit neuem Slogan: Primitiv, cool und vollständig!) fällt lachend hintenüber.

"Woher", schnaubt Rocky, "hat dieses Vieh all diesen Kram?"

"Ja, äh, dahinten gibt es ein Zimmer. Mit einem Bett drin", beantwortet Frederico die Frage.

Seufzt die Kamera, die digitalen Tränen trocknend, "Ein sehr großes Bett. Eines das für zwei reichen würde - und für eine Kamera natürlich, hähä. Man muß immer auch das Gute sehen." Digitales Lachen füllt die Pathologie.

Die drei Hospitalianer dackeln, Fredericos Anweisungen folgend, "mal eben rüber" - direkt ins falsche Zimmer, da Fredericos Angaben ungenau sind.

Die Nachwirkung davon ist, daß alle drei im Wandschrank von Jim-Bob landen, während der zurückgebliebene George, nach abgeschlossenem Kunstgenuß, sich müht, sein nächstes Problem, den anhaltend schlechten Geschmack im Mund, zu bekämpfen.


Dümmliche Anschuldigungen, insbesondere von primitiven Zeitungen, die es nicht besser wissen, ist Elvira ja schon gewohnt. Aber aus einem ihr unerfindlichen Grunde regen sich die Ziegen jetzt nicht mehr nur auf, über das was sie getan hat! Nein, jetzt scheinen diese Widerlinge auch schon voraussehen zu können, was sie in Zukunft vorhat oder hätte vorhaben können.


Es war einmal im Informationszeitalter ...


.... da waren die Guten um keinen Einfall verlegen, den Bösen aller Art das Handwerk zu legen. So erstellte man allerlei schöne Programme, Spiele, Pornos und Anwendungen.

Sie kamen in Scharen, die Typen, die gern einmal ein Raumschiff steuern, Monster schießen oder Sex wenigstens sehen wollten.

Das taten sie und lieferten dabei ungefragt jede Menge Informationen über eigene Intelligenz und Sehnsüchte ab, weil dämonische Programme mitgeliefert wurden.

Diese Dämonen, die schwirrten zur Verwaltung zurück und hatten viel zu berichten von dem, was sie dort draußen gesehen hatten.

Erfahrungen, die für die Betroffene gerade bei Bewerbungen sehr hilfreich oder auch absolut hinderlich sein konnten:

Wer etwa zuviel am Bildschirm ballerte, konnte schnell als Psychopathin gelten. Wer jedoch zuwenig knallte, ließ offensichtlich den "Killerinstinkt" vermissen, war also für den Beruf der Bankkauffrau nicht geeignet.

Und trotzdem - viele, viele Böse wurden durch soviel vorausschauende Erkenntnisse schon sehr, sehr rechtzeitig, oft im zartesten Kindesalter, als solche einwandfrei identifiziert.


Der Verwaltung guter Wille wurde seinerzeit von einer ganzen Menge Patientinnen nicht so recht verstanden.


Stellvertreterinnen brüllen in ein dutzend Handies hektische Dementis, daß man solches, wie oben beschrieben, überhaupt nicht vorhabe.

Elvira läuft Kreise im Klo und welche alte Sau ihre schönen Pläne an den ZeitenWanderer verpetzt haben könnte, die man nun vorläufig ad acta würde legen müssen.

Was ist bloß los? Nichts als Ärger in letzter Zeit. Gereizt fletscht sie die verschlossene Klotür an. Noch schnell im Sitzen eine Pressemitteilung: "Die Verwaltung gibt hiermit bekannt, daß die verschwundenen Männer bis auf weiteres verschwunden sind. Wer unbedingt will, kann sich ja bei der Verwaltung weiter erkundigen."

Elvira weiß sehr genau, daß das niemand tun wird. Jedenfalls niemand Gesundes, womit der Fall auch schon wieder klar wäre.

Knallend öffnet sie die Tür und stampft zu ihrem Sitzplatz zurück. Was sie jetzt braucht, ist eine Idee! Eine Idee, wie sie all diese Nervlinge auf einmal von ihren kleinen Sünden ablenkt.

"Besser?", heuchelt Angelina Interesse.

"Geht so", mault Elvira, ihren perfekt ausgewogenen Hintern in den Sessel werfend.

Was denn war, fragt Angelina desinteressiert nach.

Elvira macht eine wegwerfende Handbewegung. Dann aber lächelt sie und legt die mit Knöchelkettchen verzierten, schlanken Fesseln auf die Schreibtischkante.

Die mit dezenten Ringen geschmückten Finger tippen gegeneinander: "Weißt du - gerade eben ist mir ein Gedanke gekommen, um etwas Geld einzuspielen! Du weißt ja, die Verwaltung hat hohe Kosten. Ich meine, wer zahlt schon freiwillig Steuern? Die Patientinnen jedenfalls nicht!"

"Und?", fragt Angelina mißtrauisch nach, ihre sanften Augen zu schmalen Schlitzen verengend.

Gedanken des Hasses breiten sich in ihr aus. Warum kann diese aufgetakelte Kuh nicht einfach einmal nur arbeiten?


Elvira erklärt ihre neueste geniale Idee, 'Wohin wird das Pünktchen gleich gehen?'

Ihr Plan ist ebenso simpel wie vielversprechend.

Glücksspiel heiße die Devise!

Scharenweise würden die Patientinnen gelaufen kommen, um ihre jämmerlichen paar KVK's zu setzen, in der Hoffnung dann einmal richtig abkassieren zu können!

Und immer wieder würden sie kommen und niemand würde jammern, sein Geld losgeworden zu sein.

Gewinnerinnen würden großflächig bekannt gemacht werden, damit die anderen Hühner vor Neid platzen!

Die würden dann umso eifriger mitspielen, statt ihre Zeit mit dem ZeitenWanderer und ähnlich destruktivem Mist zu verschwenden.

Und wozu sich noch mit Steuern und Steuererklärungen abgeben, wenn das Volk doch nur so hechle, um völlig freiwillig unverschämte Beträge abzubluten?

Elviras Faust saust triumphierend auf die Schreibtischplatte.


Angelina nickt bedächtig. Ja, daraus könne man vielleicht etwas machen.

"Aber - aber am wichtigsten ist doch", sie beugt sich so weit vor, daß ihre auffällig elegante Oberweite über die Schreibtischplatte schiebt "am wichtigsten ist doch, der Idee den richtigen Kick zu geben!

Wen interessiert denn schon, ob irgendein Pünktchen irgendwohin läuft?"

Angelinas geschwungene Lippen grinsen die unsicher glotzende Elvira an.

"Geil, ich meine richtig geil, wird eine solche Wette doch erst, wenn das Pünktchen auf der Flucht ist!"

Angelinas Zunge schlurpt einmal über ihr volle, tiefrote Oberlippe, während Elvira sie mit offenem Mund anstiert. "Wie wäre etwa ein gehetztes Mannsbild?" Angelinas Hand zischt durcht die Luft. "Angstschweiß auf der Stirn rast er durch Hospitalias Gänge! Verzweifelt fleht er um Hilfe! Doch leider, leider ... " Sie erhebt Augen und Hände gegen die Zimmerdecke. " ... erhält er nur einen Tritt in den Arsch. Oder Schlimmeres.

Ich meine, wenn er sich nicht schnell genug umdrehen kann." Angelina prustet quietschvergnügt, die flache Hand saust auf der Schreibtischplatte auf und nieder. Sie unterdrückt den letzten Gluckser. "Gelingt dem Opfer die Flucht, wird es stinkreich! Im Normalfall aber endet es als Frikassee. Mannsbilder aber erhalten eine extra Portion Hormone, die sie weit über sich hinaus wachsen lassen.

Das erste und höchstwahrscheinlich auch allerletzte Mal Sex!"

Sie faltet die Hände brav auf der Schreibtischplatte.

"Genial", haucht Elvira, nachdenklich ergänzend, wirklich gespannt zu sein, was den betreffenden Mannsbildern in einer solchen Situation einfallen würde.

Aber - derartig viele Ideen, derartig schnell produziert und dann noch eine so pikante zum Abschluß, das ist sie nun wirklich nicht gewohnt von Angelina!

Zaghaft fragt sie ihre Kollegin, ob sie neue Medikamente nehme, die ihr, Elvira, noch unbekannt seien?

Angelina, in ihrem Sessel zurückgelehnt, nimmt seit langer Zeit das erste Mal wieder eine Lucky-Lakritz zwischen die Zähne und lehnt sich weit zurück.

Die Frage hat sie nicht beantwortet.

Jim-Bob, Multi-Media-Künstler aus Leidenschaft wollte einst Kunst erstellen. Das war lange, lange bevor ihm ein orange-blauer Geist erschien, um die Hälfte seiner Wäsche zu dematerialisieren.

Seine Umwelt jedoch verhielt sich grausam, um nicht zu sagen, gänzlich desinteressiert. In Konsequenz dazu gaben ihm seine (nicht immer nachvollziehbaren) Gedankengänge darum ein, den heutigen Winterabend zu nutzen, sein Künstlerleben abzuschließen.

Achselzuckend und rülpsend sondiert er die Lage.

Mangels Dachbalken muß er sich nun auch noch an der Heizung erhängen. Mangels Strick einen Gürtel nehmen! Jammernd, ob dieser demütigenden Art aus dem Leben zu scheiden, geht er in die Hocke, knipst seine Stehlampe aus.

Nun ist es dunkel in seinem Zimmerchen.

Nach ihm, Jim-Bob, werden sich nur noch trockene Heizungsluft und Gerüche von Martini hier breitmachen.

Nie wieder werden die Tasten unter seinen Fingern fröhlich klickern.

Nie mehr Kunst von seinen Händen ...

Im Hintergrund flucht jemand.

Ein anderer drückt das Licht im Wandschrank an, was Jim-Bobs Schatten über die Heizung an die Gardine wirft.

Jim-Bob schluckt hörbar.

Stripper tritt blubbernd aus dem Wandschrank, weil er sich gerade den Kopf gestoßen hat. Frederico wird herausgeschubst und Rocky schafft sich Platz hinter beiden.

Jim-Bob, auf Knien liegend, den Strick um den Hals, möchte auf der Stelle ohnmächtig werden. "Seid - seid ihr etwa ... die ... die Heiligen Drei Könige?"

In den religiösen Dingen seiner Zeit ist er eher wenig gefestigt.

Stammelnd erhebt er sich, vergißt aber vorher den um den Hals geschnürten Gürtel abzunehmen, der ihn wieder zurückreißt und mittels Fallen auf das Fensterbrett kurzfristig k.o. gehen läßt. Flach und verbeult bleibt er am Boden liegen.

Fredrico, der mühsam versucht, hinter Strippers hoher Schulter auch etwas sehen zu können, reibt dabei unbeabsichtigt sein bemaltes Gesicht an Strippers Satinbademantel.

Rocky ist echt baff.

Nie im Leben sieht man einen weißen Typen und dann gleich zwei auf einmal! Nur daß er vom anderen Weißen bisher nie Gequatsche, sondern nur gutturale Laute gehört hat, was er auch nicht anders erwartet hat.

(Und dabei kann George reden, wie ein Wasserfall sogar! Aber nach der Nummer ohne Klamotten im Abwasserkanal, dem Putzwasser und dem Leichenschmaus ist sein Hals erst einmal derart angegriffen, daß einfach maximale Schonung angesagt ist.)

"Habt ihr ihn an die Leine gelegt?"

"Nein." "Nein."

"Egal. Also, wo ist das Bett?"

"Ja, also, dieses ist gar nicht der Raum, den ich meinte."

Jim-Bob, mühsam erwachend, aber durch seine Bindung an die Heizung nach wie vor auf die Knie gezwungen, fummelt hustend und würgend den Gürtel von seinem Hals.

"Wer zur Mama ist das?"

"Ist das wirklich unser Sabber?"

"Neee, dem hier hat einer's Sabbeln beigebracht."

Rockies Zeigefinger schießt vor: "Wie nennt man dich, Typ?"

Ob man diesen quatschenden Weißen vielleicht an einen Fernsehsender verkaufen kann?

"Jim... - Jim-Bob", stammelt dieser verunsichert, zitternd auf sie zutretend.

Hätte er sich doch bloß was angezogen. Aber konnte er ahnen, daß er derartigen Besuch bekommt?


George ist glücklich.

Dank der Abwesenheit dieser drei drei Schläger braucht er nicht zu befürchten, seine letzte Entdeckung über Gebühr teilen zu müssen.

Denn der anhaltend schlechte Geschmack in seinem Mund gebat ihm, nach Abhilfe zu suchen, die er auch - vorhin schon - tatsächlich fand. Hinter einer Schlafzimmer-Gardine lagert eine Flasche unbeschrifteter Pfefferminzwhisky. Mehrere hundert Jahre alt.

Entspannt wendet er sich sich seiner Entdeckung zu. Ein Schnüffeln an der offenen Flasche überzeugt ihn, daß dieser Tropfen für seinen Hals einfach gut sein muß.

Jedenfalls besser als das übel riechende Wasser aus diesem versteckten Mini-Klo.

Lächelnd gießt er die flüssige Antiquität in sich hinein, gurgelt, schluckt und gießt nach und gurgelt und schluckt.

Ihm ist warm und wohl zumute, als er sich wieder zu ersten menschlichen Lauten in der Lage findet.

Jetzt, so befindet er, jetzt wird es höchste Zeit wird für ihn, den Abgang zu machen. Schließlich ist er nicht gerade freiwillig hier. 'Brücke zwischen Hirn und Net', 'einmaliges Experiment', 'große Ehre', ha!

Fredericos zurückgebliebenes Handy in Händen ruft George ihm bekannte Nummern an - ohne Erfolg. Technische Überprüfung verursachen?

Was soll denn das schon wieder heißen?

Ratlos drückt George wahllos auf ein paar Tasten, darunter eine besonders dunkle. (Das ist der Hotkey zur Pathologie und die einzige Taste, die immer funktioniert).

Marylin, leicht verwundert, hebt ab. "Ja?"

Eine heisere Stimme mit französischem Akzent keucht abgehackt: "Ich - heiße ... George." Es folgt eine Reihe gutturaler Laute. "Wo - bin - ich - hier?"

Wieder Atemzüge, leises Keuchen. "Wie ... komme ich ... hier raus?"

Marylin kichert ungeniert. "Kommt drauf an, wo sie drin sind."

Was zum Teufel ist eigentlich mit diesem blöden Display los? Eigentlich hätte sie doch die Fresse des Anrufers darauf sehen müssen. Na ja, sei's drum.

"Es ... fing alles ... ganz - ganz harmlos an."

"Wenn es harmlos anfing, ist es langweilig. Erzählen Sie bitte etwas anderes." Marylin wirft ihre kirschroten Lippen auf.

George, von Pfefferminzwhisky beschwingt, erzählt von den Bildern, wie herausfordernd sie waren und daß er, nur um nicht unter ihnen aufzufallen, sich seiner vollständigen Garderobe entledigte.

Marylin findet das schon interessanter. Er möge bitte weitermachen.

So fährt George fort, wie er entblößt und mit wehendem Genital durch die Gänge des Nets - oder seines eigenen Hirns - das wisse er nicht so genau, gehetzt werde.

Marylin ist allerhöchst amüsiert.

Mit ihr inzwischen mehrere Hundert andere Frauen und neun Männer, die diese Telefondiskussion seit der Vokabel "Genital" live und stöhnend mitverfolgen.

George schließt seinen Bericht mit der Frage, wie er nun wohl seine Nöte bändigen solle?

Marylin erinnert ihn an eine linke und eine rechte Alternative.

George mault, daß es noch etwas dazwischen geben müsse.

Sie ermuntert ihn, auszusprechen, was exakt er meine, nur ganz freiweg.

Den Angesprochenen strengt das Reden doch noch sehr an. So hört man ihn leider nur keuchen und stöhnen.

Marylin bittet ihn ungeduldig doch endlich etwas deutlicher, etwas direkter zu werden. Man sei schließlich am Telefon.

Sie zieht eine Flasche zu sich heran.

Nur schnelle Atemzüge antworten ihr. Das Quatschen kostet den armen George wirklich viel Kraft.

"Wird's bald?", ranzt Marylin, die sich gerade das Glas vollschenkt.

George, verwirrt, angesüffelt, ent- und begeistert, flüstert rauh, ob sie ihm den entscheidenden Hinweis geben könne, um eines Mannes Glück mit eines Weibes Wonne vollständig zu machen?

Hinfort all sein Sehnen, Hospitalia schnellstmöglich zu verlassen.

Marylin, die sich das Glas inzwischen einverleibt hat, rülpst, daß sie ihm in dieser komplizierten persönlichen Situation gern helfen wolle. Am besten sei dieses zu bewerkstelligen, indem er versuche, sie jetzt und sofort zu verführen.

Geschickt grabbelt sie ein Fläschchen Nagellack aus einer ihrer Taschen und bepinselt ihren rechten großen Zehnagel.

George hustet heiser seine Dankbarkeit zurück. Er wäre gleich zurück. Sie möge bitte dranbleiben.

Marylin verspricht es.

Georges Blick eilt irrend durch den Raum. Wo war doch gleich noch der wohltuende Rachenputzer abgeblieben? Er sucht, ohne zu finden, obwohl die Pulle direkt vor ihm steht.

Okay Baby! Kurzes Krächzen.

Ja, ja! Ob es denn jetzt wohl endlich losgehe? Sie habe inzwischen schon einen Fuß fertig lackiert!

Er findet die Flasche, ölt seine Stimmbänder reichlich.

Marylin hat nur noch zwei Zehen übrig.

Einige heftige Atemzüge später gesteht er, nicht recht zu wissen, wie anfangen ...

"Du widerlicher Schlappschwanz!", brüllt sie nach all der erwartungsvollen Wartezeit zurück, gefolgt von einer Reihe ergänzender Beleidigungen.

George zuckt erotisiert zusammen.

Sie jagt noch mehr Beleidigungen hinterher.

George ("Oh, Baby!") bedankt sich, lustvoll grunzend, lebhaft beschreibend, was gerade in und an ihm vorgehe.

Marylin legt sich seufzend auf den Rücken, bis der verchromte Sektionstisch ihren erhitzten Körper angenehm kühlt.

Sie quietscht ihn durchs Handy an, er wäre ihr kleiner Honigkuchen, ihr Wonneproppen, die Sahne auf dem süßen Kuchen.

Der Angesprochene hüpft auf einem Bein durch die Gegend, das Handy eng am Ohr und erwidert irgendwelchen Unsinn.

Die Dame am Telefon schlägt viel Kleidung zurück. Ob er sich ihre verträumten Blicke vorstellen könne?

George bestätigt dieses, leise krächzend, daß seine Phantasien noch weit darüber hinausflögen.


Zwischen Frederico, Stripper, Rocky sowie Jim-Bob auf der Gegenseite hat sich inzwischen ein gegenseitiges Verhör entsponnen.

Eben noch überreichte Jim-Bob unerwünschte Geschenke (zwei Papierschiffchen und ein Hut aus Zeitungspapier), jetzt aber sind krasse Dissonanzen zwischen den beiden Parteien entstanden.

Herumgebrülle ist entstanden, ob der Frage, wer denn hier wohl das Tier sei!

Ach! Sie, Stripper, Frederico und Rocky seien also gar nicht die Heiligen Drei Könige!

Hätte er sich ja gleich denken können!

Mit zunehmender Ernüchterung verliert sich auch Jim-Bobs Respekt.

Er brüllt, kreischt, schreit, schubst sie in den Wandschrank.

Sie sollten nur ja wieder dorthin gehen, von wo sie hergekommen seien!

Im Handgemenge geschieht genau das und Jim-Bob steht von einer Sekunde zur anderen wieder allein da.

Hinterher wird er alles auf die Beule an seinem Hinterkopf, einen wilden Traum und den Alkohol zurückführen.

Die drei Hospitaliana, die diesesmal zu dritt aus dem Net purzeln, werden einander noch lange fragen, wo zur Mama dieses Schreckgespenst (eigentlich häßlicher Name für weiße Frauen) geblieben ist.

In einer Stunde werden sie auf eine Geheimtür tippen.

In einer weiteren Stunde der Lösung noch näher sein, wenn sie an eine Maschine denken, die den Weißen irgendwie von anderswoher zu ihnen hertransportiert.

Rocky wird es am Ende erfahren haben, aber lieber für sich behalten.


Jörg Feierabend